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„Geradeaus gab es nicht mehr"

Anmerkungen von Baskets-Präsident Wolfgang Wiedlich zum Jordan-Wechsel

Liebe Fans der Telekom Baskets Bonn,

hinter uns liegen chaotische und auch nachdenkliche Tage. Durch Dritte gerieten wir in eine Situation, in der wir nur schlechte, weil risikobehaftete Optionen hatten. Der Volksmund nennt das „zwischen Pest (Verlust eines Führungsspielers) und Cholera (Weiter mit einem wahrscheinlich demotivierten Führungsspieler)“.

Mitten in der Saison Jared Jordan zu einem anderen Club wechseln lassen? Das erschien uns spontan ausgeschlossen, jedoch war die Gemengelage zunächst gespenstisch, und bevor wir vorschnell irgendetwas in der Öffentlichkeit – möglicherweise zum Nachteil unseres Clubs – sagen würden, zogen wir die Schweigekarte. Schweigen ist grundsätzlich (gegenüber Fans und Journalisten) keine konstruktive oder vertrauensbildende Option, deshalb fällt diese Darstellung über die letzten Tage etwas ausführlicher aus.

Der gespenstische Touch: Es gab zunächst gar keinen offiziellen Kontakt der Bamberger Basketball GmbH zu uns, sondern „nur“ einen Anruf von Jordans Spieleragent bei mir, wonach „alles klar“ sei und vor allem Jordan selbst unbedingt nach Bamberg wolle und Bambergs Trainer auch schon grünes Licht gegeben habe. Gleichzeitig nannte der Agent eine Ablösesumme, genauer: einen „Vertragsherauskaufbetrag“, denn eine Ausstiegsklausel für die laufende Saison hatte Jordan keineswegs in seinem Basketsvertrag. Später gab es dann eine offizielle Anfrage von Bamberger Seite. Es entstand eine Situation, in der jeder Baskets-Entscheidungsträger mehrmals darüber schläft und jeden Morgen mit einer anderen Erkenntnis aufwacht. Die Tage vergingen und mit ihnen lichtete sich allmählich der Nebel über der Frage: Wer will genau was? Leider war das Jordan-Outing mehr als deutlich: Er wollte unbedingt weg und ließ keinen Zweifel daran, dass er in der Bamberg-Offerte eine große Chance für seinen nächsten Karriereschritt sah.

Jordans Verhalten verblüffte uns, zumal wir uns vor der Saison wirtschaftlich durch die Decke gestreckt hatten, um den Playmaker für die Baskets zu erhalten. Ich gebe gerne zu: Mit jeder weiteren unverblümten Aktivität Jordans, Druck auf uns aufzubauen, verstärkte sich unsere Haltung, unseren Verein nicht zum Spielball von Ich-Interessen werden zu lassen, zumal wir rechtlicham längeren Hebel saßen. Nicht nur junge Menschen können häufig ihre Rechte aus einem Vertrag auswendig aufsagen, während sie ihre Pflichten eher vage abgespeichert haben.

Gleichzeitig spielt der „Fall Jordan“ in einer neuen Liga-Zeit, die angebrochen ist, seitdem der FC Bayern München sportlich in die Basketball-Bundesliga aufgestiegen ist. Wenn ein großer Ball, wirtschaftlich eine Mischung aus Basket- und Fußball, in eine Menge 17 kleiner Basketbälle schießt, wäre es naiv zu glauben, jeder kleine Basketball bleibe dort, wo er zuvor lag; manche werden nur gequetscht, manchem geht vielleicht die Luft aus, manche bleiben einstweilen ungeschoren, manchem platzen Titelträume. Offenbar ändert sich in jedem Fall auch der Umgang der 17 Erstligisten untereinander. Unverkennbar: Die Sitten werden rauer, mancher wird „professioneller“ sagen, aber dadurch nicht ungesetzlich. Der Druck wird einfach von oben nach unten weitergegeben. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Denkbar, dass es auch kein Jordan-Angebot gäbe, wenn es in Bamberg nicht gravierende Veränderungen gegeben hätte: Die „alte“ Bamberger Basketballorganisation existiert nicht mehr, sondern der Basketball ist nun das Tochterunternehmen eines weltweit agierenden Autozulieferers. Man kann das Herauskaufen aus einem laufenden Vertrag wenige Tage vor Ende der Wechselfrist als „unmoralisch“ oder als Gegenteil von Fairplay empfinden, aber was unüblich erscheint, ist – wie gesagt – nicht ungesetzlich.

Sicher war in der uns aufgedrängten Causa Jordan nur eines: Egal, welche Entscheidung wir treffen würden, der „Shitstorm“ (wie übersetzt man das für +50-Basketsfans? Anonyme Entrüstung und Empörung im Internet?) ist uns sicher. Die Meinungsfreude schlägt dabei in alle Richtungen: Ein Proficlub habe sich nicht nach Fanherzen zu richten, sondern sollte kühl wirtschaftlich ticken. Oder der Kalenderblattzitierer: Reisende soll man ziehen lassen. Oder die juristische oder pädagogische (je nachdem) Hardliner-Fraktion: Vertrag ist Vertrag. Oder der Dauerkartenbesitzer: Ich habe Jordan „gebucht“, aber nun ist er weg, also: Geld zurück. Bei uns gaben nicht Geld oder Gefühle den Ausschlag, sondern das nüchterne Abwägen sportpsychologischer Wahrscheinlichkeiten für das Erreichen der Playoffs.

Ich war überrascht, wie eindeutig die Meinung im Innercircle der Baskets ausfiel: Die Chance, mit einem geschlossen kämpfenden Team die Playoffs zu erreichen, wurde einhellig als größer eingeschätzt, wenn ein innerlich auf Bamberg gepolter Jordan geht, sofern ein anderer Aufbauspieler gefunden wird. Was der richtige Standpunkt ist, werden wir nie erfahren, denn Jordan ist ab heute Bamberger. Mag sein, dass er den Schock auf eine Baskets-Antwort à la „Vertrag-ist-Vertrag“ nach wenigen Spielen bald überwunden und sich als Profi gezeigt hätte, aber das ist Spekulation.

So geht eine ereignisreiche Woche zu Ende, in der Andreas Boettcher und vor allem Michael Wichterich mit der Lupe den europäischen Pointguard-Markt absuchten. Warum dem „neuen Bamberg“ nur Jordan einfiel, hatte seinen Grund: Der Markt gab nichts her, zudem war das Zeitfenster eng, und es wurden viele Pointguards angeboten, die keine waren. Und Geschwätzigkeit statt „kein Kommentar“ auf Seiten der Baskets hätte vom ersten Tag an die Preise hochgetrieben. Dass mit Eugene Lawrence ausgerechnet jener Spieler in der Ukraine zwei Monate schon kein Gehalt mehr erhalten hatte, der vor der Saison auf Platz zwei unserer „Playmaker-Watchlist“ stand, mag man in unserer Situation als Wink des Himmels deuten. Jedenfalls bot er einen Ausweg aus der Personalie Jordan, die für uns zur Sackgasse geworden war.

Wir wünschen Jared Jordan jedenfalls die Erfüllung seiner Karriere-Ambitionen in Bamberg und danken ihm für viele geniale Pässe und überraschende Momente in den letzten Jahren, auch für den letzten Steal gestern Abend in Vechta. Und den Baskets wünsche ich Fans, die bei aller Identifikation mit einem überragenden Spieler und bei aller Enttäuschung über dessen Weggang den Sinn für Realitäten nicht verlieren. Ich hoffe sehr, dass unser neuer Aufbauspieler fair behandelt wird. Jordan ist Jordan, Lawrence ist Lawrence. In dieser für alle bitteren Situation müssen wir zusammenrücken!

Wo Rauch ist, ist auch Feuer, schrieb der „General-Anzeiger“. Ich hoffe sehr, dass wenn sich der Rauch verzogen hat, wir viel Feuer in unserem Team erleben werden. Jeder will in die Playoffs, seien es Spieler oder Fans oder eben wir, die nun eine Entscheidung treffen mussten – wir, die Weichensteller, die nur die Wahl hatten: links oder rechts herum. Geradeaus gab es nicht mehr.

Wolfgang Wiedlich


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